Kultur und Archaik

Was ist Kultur? Und was ist bitteschön Archaik?
Bei kleiner Wolf führen wir die zwei Begriffe oft im Mund – Grund genug, uns einmal damit auseinanderzusetzen, was das eigentlich ist.

Ich werde hier einige verschiedene Aspekte anschneiden, um das Spannungsfeld zwischen den zwei Bereichen Kultur und Archaik darzustellen. Gerade der Begriff Archaik ist etwas Besonderes; der wird so nirgends sonst verwendet.
Es gibt in der Geschichtsforschung eine Epoche, die Archaik genannt wird; es gibt die umgangssprachliche Verwendung von „archaisch“, um etwas überholtes, sogar barbarisches zu bezeichnen. Das ist aber beides nicht das, um was es uns hier gehen soll.

Archaik ist der Grund, auf dem alles andere aufbaut. Dazu aus der altgriechischen Philosophie Arché: der Urgrund der Welt, der Anfang der Kausalketten, das Urprinzip des Seins.

Wir beschäftigen uns ja immer mit dem Sozialen, mit dem Zusammenleben. So handelt Archaik vom Gemeinschaftlichen, wo Sachverhalte auf der persönlichen Ebene geklärt werden.(Mutter zu Kind: „Lass das; ich will das nicht“ ist etwas anderes als „Lass das, das tut man nicht“)

Hier haben Instinkte und Intuition ihren Raum. (Dieser Person vertraue ich, da habe ich ein gutes Gefühl) Archaik ist der Urgrund. Hier braucht es keine Be-GRÜND-ungen. („Wir gehen jetzt nach Hause“ – „Lasst uns doch nach Hause gehen, ich sehe Wolken es könnte sein, dass ein Gewitter aufkommt“ (ohne Begründung benötige ich eine andere Rolle, dass meiner Aussage folge geleistet wird)). Das ist der Teil, den wir im Umgang mit den Hunden spüren können, und den wir (wieder) lernen können.

Archaik ist der Anfang und auch der Sinn von allem sozialen Umgang. Das klingt erst einmal komisch, aber: Es ist eben nicht das Woher, Wozu und die Kompromissfindung. Der Kern des Sozialen ist das Da-Sein, das Erkennen (von sich selbst und des Anderen) und das Abgleichen miteinander. Auch das Abgrenzen.
Es geht um „das ist so“, um „das will ich so“, „das brauchen wir“, „das bin ich und das bist du“

Wir begreifen Archaik als die Grundlage, mit der dann das „Alltagsgeschäft“ erst machbar ist, und gleichzeitig wird im echten Leben die archaische Basis laufend austariert.

Louis XIV

Verbindung und Zusammenhang von Kultur und Archaik

Ohne dass es uns groß auffällt, tauchen in unserer Kultur, im zivilisierten Umgang permanent archaische Aspekte auf. Was gibt es zivilisierteres als die Abendgarderobe beim Opernball? Und was gibt es archaischeres, als die archaisch-biologischen Körperattribute darzustellen?

In der Psychologie, die sich ja mit dem Auch-Kulturwesen Mensch beschäftigt, tauchen archaische Aspekte und der Umgang mit ihnen immer wieder auf. C.G. Jung spricht von „Archetypen“. Es sind Rollenbilder, Vorstellungen, die uns eingeschrieben sind. Wir haben alle eine Vorstellung von Vater, von Kind, Held, Krieger, Weise Frau....

Archetypen im menschlichen Zusammenhang sind ähnlich wie das, was wir auch von der Hundewelt kennen, da haben wir die Alphas, die Betas, die Mitläufer, den Prügelknaben... Beim Menschen ist das ganz ähnlich, nur etwas komplexer, vielschichtiger. Wir haben mehr Rollenvorstellungen, und sie sind spezifischer ausgeprägt. Vielleicht, weil wir in unserer Welt mehr unterschiedliche Bedürfnisse zu bedienen haben. Aber dennoch, egal in welche Kultur wir schauen, ähneln sich die Vorstellungen von gewissen Rollen und es gibt in den Erzählungen und prägenden Mythen immer wieder ganz ähnliche Muster. (vgl. Maria Muttergottes, Pachamama, Gaia, Frau Holle)

Und das ist interessant: Es liegt also nicht daran, ob ich in Deutschland oder bei den Aborigines aufwachse – es muss also einen anderen Grund für diese Vorstellungen geben!

Wir kennen diese Rollen, wir erkennen sie auch intuitiv. Wir suchen sie manchmal, sie geben uns eine Orientierung.

Kultur kommt aus der Archaik

Ohne die Grundsubstanz der Archaik ist die Kultur kalt und sinnentleert. Es ist eben kein Gegensatz, sondern ein Zu-satz, ein obendrauf und außenrum.

In der Psychologie spricht man von Abwehrmechanismen. Diese sind dazu da, miteinander in Konflikt stehende Tendenzen wie Triebe, Wünsche, Werte zu kompensieren. Es gibt unterschiedlichste Arten, psychologisch betrachtet, mit solchen archaischen Bedürfnissen (in der Kulturwelt) umzugehen. Der „edelste“ von ihnen ist die Sublimierung. Triebenergie wird auf andere (gesellschaftlich besser verträgliche) Ziele umgelenkt, wie Kunst, schöpferische Tätigkeiten, Produktion. – Jemanden zu zu Tode zu prügeln, nicht gut. Einen wütenden Song zu schreiben, besser.

Eine spekulative Idee, wie Kultur – auf psychologischer Ebene – entstanden ist: Als der Mensch in Clan-/ rudelartigen Gemeinschaften lebte, konnte er rein archaisch leben. Mit der Entwicklung zu einer Lebensform in größeren Gesellschaften bildete sich parallel dazu die Kultur heraus. Das eine kann nicht ohne das andere stattgefunden haben. Eine Zivilisation ohne Sprache ist nicht möglich; und Sprache, Kunst, komplexe Produktion ist ohne Gesellschaft/ Zivilisation nicht nötig.

Beispiel Höhlenmalerei: Wir wissen nicht genau, warum das Bison an die Wand gemalt wurde. Was aber sicher ist: es ist ein Ausdruck, der auf einmal zeitunabhängig ist. Er zeigt den Grundstein von Ratio, von Kultur. Er zeigt ein außerhalb des „jetzt“. Und bringt den Inhalt (Ich bin so stolz auf meinen Sohn, sein erstes Bison, Ich wäre auch gern mit auf die Jagd, hier gibt es keine Bisons mehr, das war das letzte.... Oder was auch immer) auf eine ganz andere Ebene.

Bei den Höhlenmalereien ist der Kontext verlorengegangen über die Jahrtausende. (War es damals nicht nötig, weiteres hinzumalen? Oder ist das nicht erhalten?)

Auch wir hochzivilisierten Menschen haben durchaus noch ein Gespür für die archaischen Gegebenheiten. Nur sind wir oft als Individuen im Gesellschaftskontext von der persönlichen Reaktion anderer abgeschnitten. Dafür haben wir dann andere Mechanismen entwickelt. Tabubrüche sind für uns genauso ein Thema wie für Hunde. In der Abstraktion durch die unpersönliche Gesellschaft wird auch unsere Herangehensweise abstrakter: In der Archaik ist der Diebstahl das Problem, in der Gesellschaft der Dieb. (kein Hund der Welt würde sagen du bist ein böser Hund weil du einen Tabubruch begangen hast. Sondern: Oh Tabubruch zack Reaktion (Grenze ziehen) und diese Grenze persönlich belegen).
Wir „Kulturwesen“ hingegen haben eine Rechtsform gefunden, wo die Person, die zum Dieb geworden ist, das Unrecht begleichen muss. Wir machen es nicht selbst, sondern haben eine Instanz, die den Dieb zur Rechenschaft zieht.

Kultur und Archaik sind keine Gegensätze
Kultur und Archaik als Gegensätze zu bezeichnen ist zu einfach, vielmehr sind es unterschiedliche Bereiche mit unterschiedlichen Aufgaben. Archaische Denk- und Lebensweise ist auf die Gemeinschaft und das Persönliche ausgelegt. Kulturelles Handeln und Denken auf die Gesellschaft von Vielen und das Überpersönliche.

Beispiel: Zahlungsmittel einzuführen war eine kulturelle Leistung, die in diesem Kontext auch unglaublich sinnvoll ist. Fängt man aber nun an, im archaischen Kontext Bezahlung einzuführen, verändert man den Kontext – und bewegt sich aus dem Archaischen heraus. Die Bereiche werden verwechselt oder noch schlimmer, gegeneinander ausgetauscht.

Man könnte jetzt noch tausende Bereiche aufzählen, wo die Trennlinie zwischen Archaischem und Kulturellem verläuft. Eins ist uns aber noch besonders wichtig, gerade auch in Bezug auf den Hund.
Meint man wirklich das, was man mit Worten sagt, oder nicht? Habe ich eine klare Absicht, ist all mein Ausdruck darauf ausgerichtet (Körpersprache/ Wohin bewege ich mich/Was tue ich), besitze ich nun zusätzlich die Fähigkeit, meine Absicht in die richtigen Worte zu packen, habe ich in einer zusätzlichen Ebene kommuniziert und kann noch besser verstanden werden.
Dort ist Kultur dann wirklich an der richtigen Stelle in der Kette und ein echter Zugewinn. Anders herum wird’s kritisch, wenn ich etwas in Worten sage und dabei aber eine andere Absicht habe. Der Hund ist dafür ein wunderbarer Kompass. Als unser Begleiter, der nicht zwischen den Ebenen springt, versteht er immer nur das, was ich auf der archaischen Ebene kommuniziere. Auf Gedeih und Verderb versucht er, in dieser Ebene mit uns Gemeinschaft zu schließen. Deswegen gibt es auch keinen ungehorsamen Hund.

Unsere Aufgabe ist es, Archaik und Kultur wieder in eine aufeinander aufbauende Kette zu bringen.
So kann ich authentisch in beiden Ebenen existieren.

~ Ute

Veröffentlicht in Essays.

2 Kommentare

  1. Sehr schöner Text, vielen Dank!

    Diesen Zusammenhang zu Verstehen und generell auch auf die tieferen (älteren) Ebenen zu achten, bzw. diese überhaupt wieder wahrzunehmen würde natürlich auch in der Mensch-Mensch Kommunikation vieles vereinfachen.

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